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18. DORFSYMPOSIUM

INTERDISZIPLINÄRER ARBEITSKREIS
DORFENTWICKLUNG
(BLEIWÄSCHER KREIS)

BILDUNG IM DORF. WAS LEISTET
BILDUNG FÜR LÄNDLICHE RÄUME?


vom 13. bis 15. Mai 2012
Leitung:
PD Dr. Karl Martin Born, Vechta
In Verbindung mit
Prof. Dr. Doris Schmied, Bayreuth
Prof. Dr.-Ing. Henning Bombeck, Rostock
Prof. Dr. Gerhard Henkel, Essen
Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer, Hannover
Dipl.-Ing. Claudia Koch, Frankfurt
Prof. Dr. Claudia Neu, Mönchengladbach
Dipl.-Soz.Wiss. Andrea Weigert, Flintbek


Das diesjährige 18. Interdisziplinäre Dorfsymposium in Bleiwäsche stand unter dem Titel "Bildung im Dorf - Was leistet Bildung für ländliche Räume?" und ging hier insbesondere der Frage nach, welche Bedeutung dem informellen und non-formalen Lernen im Lernort Dorf zugeschrieben werden kann. Hintergrund dieser Fragestellung ist einerseits die häufige Assoziation von Dörfern und ländlichen Räumen mit Rückständigkeit und einer Minimalausstattung an Bildungseinrichtungen in quantitativer und qualitativer Dimension; andererseits werden die dörflichen Quellen von Innovationsträgern betont und die Dorfschule als idealtypischer Lernort mit überschaubaren Schülerzahlen, hoher Vermittlungsintensität von sozialen Kom-petenzen und Mensch-Umwelt-integrierenden Institutionen geradezu idealisiert. Dementsprechend gliederte sich das Symposium, das in diesem Jahr über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis zusammenbrachte in drei Teile: Auf eine Darstellung der spezifischen Inhalte von Bildung in und für Dörfer folgte die Präsentation von beispielhaften Projekten der Bildungsvermittlung aus Sicht der Initiatoren und Projektleiter; abschließend erläuterten Organisatoren und Träger informeller und non-formaler Bildung ihre Tätigkeitsfelder und Herausforderungen.

In seinem Vortrag leitete Guido Pollak (Passau) zunächst aus dem Humboldt'schen Bildungsideal und den gegenwärtigen pluralen Individuums- und Gesellschaftsbildern drei Kompetenzen, zu denen Bildung bei-tragen sollte, ab: Umgang mit Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und gesellschaftlicher Pluralität. Auf dem Hintergrund gegenwärtiger Anforderungen an Bildung (z.B. Lernen und Qualifikation, Umgang mit Medien und Bildern, politische Aktivität, Kommunikation, Gesundheit und Krankheit oder Kultur) entwickelte er Impulse für Bildungsarbeit in ländlichen Räumen: Akteure, Entscheidungsträger, Orte und Institutionen wirken in einem "BildungsRaum", dessen soziale Konstruktion, unerschlossene Ressourcen und zukünftige Mediennutzung noch zu ergründen sind.

Johanna Schockemöhle (Vechta) verdeutlichte in ihrem Beitrag zum regionalen Lernen und Partizipation in ländlichen Räumen, wie Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung zu einem Konzept des Regionalen Lernens, in dem regionale Identität, Partizipation und Gestaltungskompetenz wesentliche Grund-pfeiler bilden, entwickelt werden können. In ihrem mit zahlreichen Beispielen illustrierten Vortrag wurde auch deutlich, dass ein derartiger Ansatz nur mit Hilfe eines umfangreichen Netzwerkes aus unterschied-lichen Akteuren (Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Stiftungen, Verbände, Unternehmen etc.) implemen-tiert werden kann. Aus ihrer Arbeit in Vechta konnte sie bereits zahlreiche Beispiele vorstellen.

Das von Verena Peer (Universität für Bodenkultur, Wien) und Franz Steinwender (KB5, Kirchbach in Steiermark) vorgestellte Wissens- und Bildungszentrum KB5 repräsentiert das Inwertsetzen der Schnittstelle zwischen Stadt und Land: In einem vormals leerstehenden Gebäude finden jetzt auf moderner Telekommunikation basierende Universitätsveranstaltungen statt, an denen die Bürger im Dorf unmittelbar teilhaben können; universitäre Bildung ist somit nicht mehr auf städtische Räume beschränkt, sondern trägt unmittelbar zur Bildung und Lebensqualität im Dorf bei.


Einen spezifischen und für das Symposium besonders wichtigen Blickwinkel nahm der Vortrag von Gerlinde Augustin (Thierhaupten) ein: Die Schulen der Dorfentwicklung in Bayern setzen auf Hilfe zur Selbsthilfe und unterstützen Dorfgemeinschaften auf zwei Wegen: Zum einen vermitteln sie zu den gegenwärtigen Problem-feldern der Dorfentwicklung grundlegende Informationen; zum anderen helfen sie aber auch den Dorfgemeinschaften dabei, sich auf die Dorferneuerung vorzubereiten bzw. im Vorhinein Netzwerke unterschied-licher Akteure zu bilden, wobei Wissen als eine der wichtigsten Ressourcen bewertet wird.

Im zweiten Teil des Symposiums, der ausgewählte Beispiele erfolgreicher Bildungsprojekte vorstellte, erläuterte zunächst Jürgen Rymarczyk (Neuenkirchen) den Kunstverein und die Stiftung Springhornhof, die in ihren Ursprüngen auf das Jahr 1967 zurückgehen. Hierbei wurde deutlich, dass Kunstprojekte im Dorf durchaus eine längere Phase der Akzeptanzfindung unter den Bevölkerung durchmachen, dann aber durch Kom-munikation und Vermittlung zu großer Zustimmung finden können; letztlich gewinnt die Dorfgemeinschaft durch die in die Kulturlandschaft der Lüneburger Heide eingebettete Kunst wichtige Identifikationspunkte. Den Aspekt des Lernens stellte Bürgermeister Herbert Piotrowski in den Mittelpunkt seines Berichts über die Teilnahme Grambows am Projekt "Kunst fürs Dorf – Dörfer für die Kunst": Bevor die beteiligten Künstler mit ihren Arbeiten begannen, stießen sie einen umfangreichen Dialogprozess mit der Dorfbevölkerung an, der letztlich dazu führte, dass die Wünsche und Bedürfnisse der Bürger als Piktogramme angelehnt an Straßen-verkehrsschilder umgesetzt wurden. Arbeitskreis Dorfentwicklung Bericht 18. Interdisziplinäres Dorfsymposium PD Dr. K. M. Born (Vechta) Prof. Dr. D. Schmied (Bayreuth) Prof. Dr. H. Bombeck (Rostock)

Bodo Schellhorn (Spangenberg) zeigte auf, dass Bildung im Dorf nicht zwangsläufig an bestimmte Milieus gebunden sein muss: Sein Projekt der Sanierung und Wiederherstellung des Burgsitzes in Spangenberg wurde durch Langzeitarbeitslose und Jugendliche anfangs in kritischer Distanz von der Stadtverwaltung beo-bachtet; tatsächlich verband es aber wesentliche Aspekte der Bildungsarbeit auf dem Dorf, da es einen hohen Konkretisierungsgrad aufwies, neben intellektuellen auch handwerkliche Fähigkeiten vermittelte und sowohl für die Mitwirkenden als auch für die Bewohner Spangenbergs einen Identifikationspunkt schuf. Anhand dieses Beispiels wurde ebenso wie bei anderen Projektvorstellungen deutlich, dass ohne das ehren-amtliche und unermüdliche Engagement Einzelner derartige Projekte nicht umzusetzen sind.

Die zukünftige Bedeutung innovativer Techniken der Bildungsvermittlung in ländlichen Räumen arbeitete Lutz Laschewski (Neustrelitz) anhand seiner Erfahrungen im Projekt e-ruralnet heraus: Einerseits ermög-lichen neue Technologien den unmittelbaren Zugang zu Bildungsinhalten, andererseits herrschen hier aber durchaus mehrfache Zugangsbarrieren in Form von mangelnder Breitbanderreichbarkeit oder Medien-affinität und –beherrschung vor. Insgesamt plädiert er für eine Integration von e-learning in ländliche Ent-wicklungsstrategien, da ein dahinter stehender partizipativer, auf Austausch basierender Wissensaneig-nungs- und –umsetzungsprozess wichtige Impulse setzen kann.

Im letzten Teil des Symposium wurden Organisatoren und Träger informeller und non-formaler Bildung vorgestellt: Der Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum, dessen Arbeit von Uta-Maria Kern (Berlin) erläutert wurde, ist nicht nur ein Netzwerk von Bildungsstandorten im ländlichen Raum, sondern auch ein überregionaler Ideengeber, der seine Aufgabe nicht nur darin sieht, Bildung zu vermitteln, sondern auch die Kompetenz zur Bildungsvermittlung an die vielen Aktiven in den Dörfern weiterzugeben.

Eine ähnliche Multiplikatorenfunktion nehmen nach Aussage von Carolin Dangel-Vornbäumen (Berlin) die Landfrauen wahr: Ihre breit angelegten Aufgabenfelder, die von der Vermarktung von Produkten bis zur Umsetzung des Gleichstellungspostulats reicht, wenden sich an die ganze Dorfbevölkerung; gleichzeitig werden aber auch Veranstaltungen durchgeführt, die Landfrauen zu Multiplikatorinnen im Dorf weiterbildet und somit einen wesentlichen Baustein für die Bildungslandschaft Dorf liefert.

Aus sektoraler Perspektive trägt das von Andrea Weigert (Flintbek) vertretene Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein sowohl zur Umweltbildung des Einzelnen als auch zur Be-fähigung der Multiplikatoren bei. Umweltbildung nutzt die lokale und regionale Kulisse und trägt wesentlich zur Ausbildung einer regionalen oder lokalen Identität bei.

Abschließend erläuterte Hildegard Schröteler-von Brand die Ergebnisse des Wettbewerbs "Land und Leute – Bildung, Kunst und Kultur in kleinen Gemeinden" der Wüstenrot Stiftung und stellte von den 295 einge-reichten Beiträgen die eindrücklichsten Preisträger vor. Neben der hohen Zahl an Beiträgen beeindruckte be-sonders die inhaltliche Breite, die nicht nur die Einrichtung und Unterhaltung von Museen, sondern auch die regelmäßige Durchführung von Kulturveranstaltungen umfasste.

Die abschließende Diskussion thematisierte zunächst die Bildungslandschaft Dorf und arbeitete hier vor allem die spezifischen Eigenarten von Dörfern heraus: Alltagswissen, Bildungsmanagement und Bildungs-netzwerke waren hier häufig genannte Stichworte. Zukünftige Herausforderungen und Aufgaben sahen die Teilnehmer vor allem in der stärkeren Vernetzung formeller und informeller Bildungsträger und der Ent-wicklung einer dörflichen Resilienz gegenüber zeitlich und inhaltlich begrenzten Förderprogrammen. Arbeitskreis Dorfentwicklung Bericht 18. Interdisziplinäres Dorfsymposium PD Dr. K. M. Born (Vechta) Prof. Dr. D. Schmied (Bayreuth) Prof. Dr. H. Bombeck (Rostock)



Resolution von Bleiwäsche

Das Dorf ist seit jeher ein Ort des Lernens. Wissen und Kompetenzen werden hier von Generation zu Generation weitergegeben. Innerhalb der überschaubaren Lebenswelt stellen sich Erfahrung und Erkennt-nisse im Umgang mit dem Gelernten unmittelbar ein. Der kleine Maßstab ermöglicht das Vermitteln sozialer Kompetenzen und das Entstehen unmittelbarer Mensch-Umweltbeziehungen in hoher Qualität und Inten-sität.

Der Lernort Dorf ist in Gefahr. Zwar werden Dorfschulen als ideal und kindgerecht gelobt, aber Bildung auf dem Land wird auch mit Rückständigkeit und Minimalausstattung an Bildungseinrichtungen assoziiert. In Zeiten, in denen ländliche Bildung einem ausschließlich ökonomischen Diktat folgt und Dorfschulen erneut in großer Zahl und oftmals unwiederbringlich geschlossen werden, fehlt ein klares gesellschaftliches Bekenntnis zum Wert und Erhalt der Dorfschule.

Das Dorf muss als eigenständiger und wertvoller Bildungsraum verstanden werden. Mit seinen unter-schiedlichen Akteuren, Orten und Institutionen steht er nicht in Konkurrenz zum urbanen Raum. Vielmehr kann er mit spezifischen Bildungsinhalten, die insbesondere auch den lokalen/regionalen Gegebenheiten angepasst sind, aufwarten.

Die Bevölkerung des ländlichen Raumes verfügt nicht zuletzt auf Grundlage ihrer regionalen Identität über eine hohe Gestaltungskompetenz bei der Entwicklung von Konzepten regionalen Lernens. Zahlreiche bereits heute existierende Netzwerke zeigen nicht zuletzt im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung die guten, aber längst nicht ausgeschöpften Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe auf.

Bildungsinstitutionen haben den ländlichen Raum als lohnendes Tätigkeitsfeld für sich entdeckt. Insbe-sondere überregional kommt es hier manchmal zu einer Konkurrenzsituation zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Trägern bzw. zwischen Trägern ähnlicher inhaltlicher Orientierung. Die Abstimmung von Inhalten sowie gemeinsame Vermittlung bzw. Vermarktung bieten gute Chancen für Synergien. Dörfer brauchen Bildungsmanager!

Bildungsarbeit im Dorf ist weniger stark an bildungsnahe Milieus gebunden als in städtischen Räumen. Dieses ist eine wichtige Qualität und ein wesentliches Charakteristikum ländlicher Bildung. Für wenig qualifizierte Menschen, denen klassische Bildungswege verschlossen bleiben, liefert das Dorf "anfassbare Inhalte" mit intellektuellen und/oder auch handwerklichen Ansprüchen. Lernziele definiert das Dorf, Lernerfolge finden hier unmittelbar Wertschätzung.

Die Entwicklung des ländlichen Raumes kann durch Bildung gefördert werden. Doch noch viel zu oft sind institutionalisierte Bildungsangebote oder Bildungsinitiativen abhängig von zeitlich und inhaltlich begrenzten Förderprogrammen. Erste auf Ebene von Bundesländern entstandene Schulen der Dorf- und Landent-wicklung bieten wichtige und kontinuierliche "Hilfe zur Selbsthilfe". Grundsätzlich aber müssen neue Schwerpunkte einer "Menschen bewegenden" Politik für den ländlichen Raum entwickelt werden.

Die (geographische) Bildungsferne peripherer ländlicher Räume ist überwindbar! Neue Technologien zur Datenübertragung offerieren auf Basis schneller Internetverbindungen Möglichkeiten des direkten Bildungs-transfers auch in die entlegensten Winkel des ländlichen Raumes. Spezifische, bis zum heutigen Tag an Städte gebundene Bildungsinhalte stehen somit grundsätzlich auch dem ländlichen Raum zur Verfügung. Die Arbeitskreis Dorfentwicklung Bericht 18. Interdisziplinäres Dorfsymposium PD Dr. K. M. Born (Vechta) Prof. Dr. D. Schmied (Bayreuth) Prof. Dr. H. Bombeck (Rostock)

Methodik und Didaktik der Inhaltsvermittlung bedürfen jedoch einer spezifischen Anpassung an den Bedarf bzw. die Spezifik der Lernsituation. Breitbandversorgung, Medienaffinität und –beherrschung sind Grundvoraussetzungen zur Teilnahme an Distance Learning-Angeboten. Diese neue, auf partizipativem Austausch beruhende, Lehr- und Lernform sollte in ländliche Entwicklungsangebote eingebunden werden. Die traditionellen Kulturen des ländlichen Raumes dienen als Bildungsträger und Bildungsinhalt zugleich. Für die Bevölkerung sind sie Grundlage regionaler Identität, die im Gegensatz zu einer romantisierenden "Volkstümlichkeit" aber auch modernen Zeitströmungen aufgeschlossen ist. Die Auseinandersetzung mit modernen Kunstformen ist gut geeignet, die eigene kulturelle Identität zu hinterfragen und fortzuschreiben. Moderne Formen von Kunst und Kultur stimulieren Interpretation und Selbstreflexion des Betrachters. Mit ihnen bieten sich auch für die Bewohner des ländlichen Raumes neue Möglichkeiten des Ausdrucks indivi-duellen Wahrnehmens und Empfindens ein. Der Dialog zwischen Kunst- und Kulturschaffenden und Konsu-menten offeriert eine neue, gemeinsame Lernplattform und befördert Kreativität, Kommunikation und Gemeinschaft.



PD Dr. Karl Martin Born

Universität Vechta Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten (ISPA)
Abteilung Vergleichende Strukturforschung

University of Vechta, Institute of Spatial Analysis and Planning in Areas of intensive Agriculture
Department for Comparative Spatial Analysis, Phone +49 (0)4441-15 241Fax +49 (0)4441-15 445
E-Mail [email protected]

Sprecher AK Dorfentwicklung Vorsitzender Zentrum für Regionale Strategien (www.zfrs.de)
Universität Vechta Driverstraße 22
D - 49377 Vechta Postfach 1553
D - 49364 Vechta



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