< Haus KB5
-------___________________-----------------------________________________
Gespräch
Mag. Franz Nahrada mit Univ.-Prof. Dr. Michael Narodoslawsky
Lieber Michael, Du hast jahrelang das KB5 und seine Aktivitäten als aktiver Teilnehmer unterstützt, hast den wissenschaftlichen Moderator, Dolmetscher und sogar Mitveranstalter gegeben, und warst ein höchst aktiver Begleiter und Beobachter seiner Entwicklung. Wie würdest Du heute, nachdem der Prozess unglücklicherweise abgebrochen ist, das Ganze bewerten?
Zunächst einmal: es war in vieler Hinsicht ein Glück, dass es das Ganze gegeben hat. Und ich finde das gut, dass Ihr diese Geschichte jetzt dokumentiert, denn sie war bedeutsam. Manchmal ist es wichtig, in einer Situation, in der offensichtlich die alten Institutionen nicht mehr weiterwissen, etwas Neues zu beginnen, auch wenn man das Resultat noch nicht kennt und möglicherweise einige Zutaten noch fehlen. Ich würde das ganze im Rückblick als "Johannes der Täufer - Situation" beschreiben: noch nicht das Wahre, aber ein wichtiger Wegbereiter. Auch der Johannes wurde ja einen Kopf kürzer gemacht; der Weg des Pioniers, des Wegbereiters für die Truppe, ist oft einer der mühsamsten und unangenehmsten. Und Pioniere waren die Leute wie Franz Steinwender, Jörg Matzer und ihre Freunde allemal.
Inwiefern waren sie in Deinen Augen Pioniere? Was haben sie so besonders gemacht, dass sie sich dieses Prädikat verdienen?
Zuerst einmal haben sie schon einfach dadurch, dass sie an die Zukunft des Dorfes geglaubt haben, als Menschen die immer schon irgendwie da waren, aber dann erst wirklich deutlich und explizit sichtbar wurden, als sie von ihren städtischen Engagements zurückgekommen sind und gesagt haben: wir machen etwas, das wirklich unserem Dorf, unserer Kleinregion einen neuen Schub gibt. Das schafft nicht ein einzelner, aber wir schaffen das gemeinsam! Und zwar weil wir einen Ort dafür schaffen, der grundsätzlich neu ist! Das war auch eine Herausforderung ans Dorf, das war fast eine "Rebellensituation", eine Ansage dass man etwas Neues, Schräges machen muss. Das hat ihnen am Anfang auch viel Neugierde und Sympathie eingebracht. Da denken sich die Leute, das müssen wir uns anschaun.
Das nächste war dann dieser Ort selber, und seine Vieldeutigkeit. Das KB5 hat ja einen Anspruch erhoben, der weit über eine normale Bürogemeinschaft hinausging. Das KB5 sollte eben auch ein Ort der Bildung für alle sein. Diese Bildungszentrums-Idee als Privatleute zu realisieren, und diese Dinge zu kombinieren in einer neuen Form, die auch einen kulinarischen und lebendigen Aspekt miteinschließt, das war nicht nur absolut neu für Kirchbach, sondern das gab es bis dato überhaupt nirgends. Woanders gab es diese Zentren in verschiedenen Formen, aber ihre Anmutung war viel langweiliger, steriler, wenig attraktiv.
Das nächste war dann schon der Zugang zur Bildung selbst. Ich denke es war sehr, sehr wichtig dass die Akteure keine hauptamtlichen "Bildungsbeamten" oder "Bildungsträger" waren, sondern Menschen die in einem normalen Berufsleben standen und sozusagen gegen das übliche Verständnis von Bildung als einer langweiligen und verstaubten Sache ein sehr persönliches Zeugnis abgelegt haben: schaut, wie das ausschaut, wenn wir zeigen, dass Bildung eben auch beim uns geht! Sie waren den Kirchbachern bekannt als innovative, teilweise auch knallharte Geschäftsleute, und sie haben aber ganz bewusst gesagt wir benutzen unsere Räumlichkeiten für etwas ganz anderes als unsere Geschäfte, nämlich dazu, zu zeigen dass der Standort Kirchbach Zugang zu soviel Bildung und Kultur haben kann, wie und wenn er nur will. Ein bisschen war das wie gehobenes Wissenschaftskino, aber es hatte doch gleich mehrere Auswirkungen:
Das erste war schon das menschliche Netzwerk, das sie dadurch mobilisierten. Ich war ja immer schon erstaunt über die Breite und Konstanz der Besucher bei den Veranstaltungen, von den älteren "soignierten Damen" über die Handwerker bis hin zu den Ortshonoratioren und Lehrern, und genau diese konstante Grundauslastung und Mischung hat die Leute auch immer wieder hingezogen. Das ganzeGanze war eben nicht nur Bildung, sondern auch Begegnung, gesellschaftliches Ereignis, und wurde auch dementsprechend inszeniert, mit Brötchen und Bier und Wein im Keller. Wir hätten dasselbe Ergebnis, dieselbe Stimmung nicht einmal in der Aula der Uni hingekriegt.
Das zweite war eine Begleiterscheinung, die sehr wesentlich war: die Leute wurden und fühlten sich ernst genommen. Die Kirchbacher, das haben wir nicht nur bei der Montagsakademie gemerkt, aber dort gab es klare Benchmarks, waren besser in der Interaktion mit den Vortragenden. Die Kirchbacher Veranstalter haben auch das Konzept der Moderation, das von Anfang an in der Konzeption der Montagsakademie drinnen war, am konsequentesten umgesetzt. Die Leute in Kirchbach haben sich mehr getraut, sich sicherer gefühlt, hatten keine Angst sich zu blamieren. Man darf annehmen, dass das zu tieferen und besseren Lernprozessen geführt hat als anderswo.
Wow. Das ist ja wirklich eine ganze Menge. Und doch hab ich das Gefühl, dass wir uns zur anderen Seite bewegen müssen, zur Frage was denn die Kirchbacher oder genauer die KB5- Macher nicht geschafft haben. Zum Beispiel dass die KB5 - Bildungsinitiative nicht nachhaltig war, also sozusagen in das Leben des Dorfes nicht wirklich breit hineingewirkt hat.
Vorerst: ich denke sie haben eine Menge Leute inspiriert, auch etwas zu versuchen. Das KB5 hat ein kreatives Milieu geschaffen, und von Millis Bio - Oase bis zum eBike Verleih ist speziell hier im "Windschatten" des KB5 viel Neues entstanden.
Das andere wäre doch eher die Frage, was man in Zukunft und besser zu machen hätte. Da möchte ich zurück zu unserem Johannes dem Täufer und sagen: die Inhalte des Bildungssystems müssen sich radikal ändern. Bis dahin muss der gute Wille, Bildung ins Dorf zu bringen und fruchtbar zu machen, immer mehr oder weniger scheitern.
Also gar nicht so sehr ein subjektives Versagen der KB5 - Macher? Sondern ein prinzipielles Problem von Bildungseinrichtungen und Universitäten ?
Genau so ist es. Die Universität für sich kommt an einen Wendepunkt. Die Art von Bildung die sie anbieten - selbst die progressiven - ist die Art von Bildung die heutzutage keiner (mehr) braucht. Und die Art von Bildung, die gebraucht würde, wird nicht oder kaum angeboten.
Jetzt wechseln wir zwar ein wenig den Gegenstand, aber ich bitte Dich, diese spannenden Thesen auszuführen. Nämlich beide Seiten: was wir nicht mehr brauchen und was wir dringend brauchen, und das sozusagen durch Kirchbach ein wenig vorgeschimmert ist….
Was wir nicht mehr brauchen, das sind die endlos langen akademischen Studiengänge, die Dich mit einem Wissensbrocken nach dem anderen vollstopfen, ohne dass Du dieses Wissen kritisch an irgendeiner Praxis überprüfen kannst. Nimm das Bild von den Gängen ruhig bildlich, das sind lange unterirdische Tunnels wo Du rein musst, und wenn Du da reingehst brauchst Du sehr lange bis Du wieder ans Licht kommst …. und weist am Ende gar nicht ob Du am Ende überhaupt einen Job hast.
Ich habe mit Absicht vom Kirchbacher Wissenschaftskino gesprochen, denn es handelte sich oft um einen Ausflug in diese faszinierende Unterwelt, wo man auch als Beobachter dabei sein durfte.
Wir haben eben keine Durchlässigkeit zwischen einer handelnden Praxis und einer forschenden Theorie, die in Zeiten eines rapiden Wandels und eines steigenden Bedarfes an wirklich sinnvollen und nachhaltigen technischen und sozialen Innovationen notwendig wäre. Dafür brauch ich Leute, die eben auf (mindestens) zwei Beinen stehen, nicht reine Theoretiker auf der einen Seite und reine Praktiker auf der anderen Seite.
Das heißt, eine Bildung wäre notwendig, die einen sowohl in die Lage versetzt zu forschen, als auch praktisch etwas umzusetzen?
Genau. Die zukünftige Bildung ist weder reine Theorie noch reines Erlernen von Fertigkeiten, sondern sie begleitet Menschen die kreativ handeln wollen. Dazu muss sie erstens modularer sein, auf praktische Problemfelder zugeschnitten. Zweitens muss sie uns erlauben, verschiedene Denkstrukturen anzuwenden, weil man bekanntlich Probleme nicht unbedingt mit denselben Denkmustern löst die sie hervorgebracht haben.
Kannst Du uns ein Beispiel geben?
Also für das erste, die Modularität, Nimm zum Beispiel das Thema Holz. Da könnte ein Modul lauten "Wie ich richtig mit Holz umgehe" und ein anderes "Wie ich aus Holz Möbel mache". Da könnte man aus dem ersten schon viel lernen, was im Alltag zu gebrauchen wäre, und man könnt sich entschließen sich aktiv zu vertiefen und das nächste Modul zu machen. Durch diese Modularisierung in kleine Einheiten hab ich die Möglichkeit, mich individuell weiterzubilden, aber auch immer wieder die Richtung anzupassen in die ich gehen will. Ich kann mich entschließen, in die Richtung Tischler zu gehen oder Designer oder Einrichter, auch immer wieder zwischen den Perspektiven hin und her zu gehen, und dabei immer zielgenauer auch meine berufliche Position zu finden, zu verändern, zu präzisieren, anzupassen. Das ist auch eine niemals endende Geschichte, aber im positiven Sinn. Das wäre ein richtig verstandenes "lebenslanges Lernen". Dann brauch ich aber ein Kontinuum von Modulen, durch das ich navigieren kann. Und jedes dieser Module muss mich in die Lage versetzen, eigenständig und doch mit gutem Feedback an Innovationen zu arbeiten, neues zu erforschen und auszuprobieren. Möglichst in komplementären Beziehungen zu anderen, mit denen ich arbeite. Und immer wieder eigenständig die Richtung zu ändern. Querzudenken, nicht längs den ausgetretenen Pfaden. Wenn Du so willst, tritt an die Stelle der aufeinander aufbauenden Studiengänge, die wie viele parallele Geraden die sich niemals berühren nebeneinander her laufen, eine Fläche oder vielleicht sogar ein Raum - eben ein Kontinuum aus vielen Modulen - mit der Möglichkeit, sich immer wieder bei Bedarf das richtige Wissen dazuzuholen und eine neue Richtung zu entdecken.
Das zweite, die Denkstrukturen. (hier wäre es gut ein publikumsfreundliches Beispiel zu finden). Wir kennen alle das Sprichwort "Für jemanden der in seinem Werkzeugkasten nur einen Hammer hat sieht jedes Problem aus wie ein Nagel". Die meisten wissenschaftlichen Disziplinen sind aber solche strukturierte Wahrnehmungen der Realität, die mit ihren Patentwerkzeugen glauben, die Lösungen für viele Probleme gepachtet zu haben. Auch meine eigene Disziplin, die VerfahrenswissenschaftVerfahrenstechnik, macht da keine Ausnahme, genausowenig die Soziologie, Psychologie, und so weiter ….
Verfahrenstechniker etwa denken in Bilanzen und Prozessen: Wir analysieren, was an Material und Energie in einen Prozess hineingeht und wo wieviel davon wieder herauskommt. Unser Ziel ist es, diese Flüsse so zu verknüpfen, dass wir unser gewünschtes Produkt so effizient wie möglich erzeugen können.
Die Disziplinen haben dabei durchaus verschiedene Denkstrukturen entwickelt, wahrscheinlich ist das von evolutionärem Vorteil, denn damit steigen auch unsere Chancen, etwas Neues, anderes auszuprobieren. Ungelöste Probleme liegen nämlich offensichtlich an der Nahtstelle der Disziplinen. Ein gutes Beispiel ist etwa die Nutzung nachwachsender Rohstoffe: Da kommen technische Probleme, die mit verfahrenstechnischen Denkmustern gelöst werden können, mit Problemen der Bodenbewirtschaftung und Landwirtschaft, aber auch mit Problemen der Raumordnung und der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zusammen.
Es ist also wichtig, die Denkmuster benachbarter Disziplinen kennenzulernen, und damit wird unser modularer Raum erst so richtig lebendig.
Das alles, die Modularität und Landkarte des Wissensraumes und die Diversität der Denkmuster - das ist hundertmal wichtiger als das Faktenwissen, denn das letztere kann sich heute jeder Student mit 2 Mausklicks holen. Eine Ausbildung die sich um Denkmuster und Denkstrukturen kümmert, das wäre sicher auch ein lohnendes Vorhaben für Universitäten, aber vielleicht entstehen ja auch ganz neue Netzwerke und Institutionen, die das noch besser können.
Um zurück zu Kirchbach zu kommen, und nach all diesen Exkursen über die Zukunft der Bildung: wie könnte es Deiner Ansicht nach zu produktiven Weiterentwicklungen des Musters "lebendiges Bildungszentrum im ländlichen Raum" kommen?
Ich darf erinnern an die Veranstaltung "Bioversität", bei der sich mit dem Knoten Kirchbach ein großes Netzwerk zusammenfand, um praxisrelevantes Wissen zusammenzutragen und in die Breite (60 Außenstellen mit insgesamt an die 2000 Zuschauer) hinauszutragen. Das war natürlich ein riesiger Kraftaufwand, ermöglicht durch die günstige Kirchbacher Pionierkonstellation und die Zusammenarbeit mit Bio Austria. Es ist nicht nachhaltig gewesen in dem Sinn, dass es sich institutionalisiert hätte, aber es war eine sehr wichtige und wie ich meine auch wirksame Botschaft: Ja, wir können das auch, nicht nur die Grazer, wir können auf eine völlig neue Art Veranstaltungen höherer Bildung mit essentiellem Praxisbezug unter Einbeziehung akademischer Akteure organisieren. Damit wurde ein Muster in die Welt gesetzt, das reaktivierbar ist, und wie ich Dich verstanden habe, soll ja das Projekt "Dorfuni 2.0" an diesem Muster ansetzen, es fortsetzen.
Wir sehen immer mehr, wie Orte überall auf der Welt für sich Kompetenzen aufbauen, auch eigenständig forschen und eine Menge an kleinen und großen theoretischen und praktischen Errungenschaften anhäufen - nimm nur die Energiestadt Güssing als Beispiel - , und jetzt stehen sie natürlich vor dem Problem: wie machen wir diese Wissensressourcen auch andern zugänglich, und wie erschließen wir uns zusätzliches Wissen? Es liegt auf der Hand, dass hier ein Boden für Netzwerkbildung vorliegt, auch und gerade für eine, die diese Transformation des Wissens und der Bildung angeht, von der ich oben gesprochen habe. Die simple Einsicht: es gibt Orte, die arbeiten an ähnlichen oder einander ergänzenden Dingen, die haben anhand ganz praktischer Projekte Kompetenz manifestiert, die kann dazu führen, dass sie sagen vielleicht kommen wir gemeinsam besser weiter. Ich will meine Gemeinde entwickeln mit dem Wissen der anderen … und kann dann auch umso mehr die anderen bei der Weiterentwicklung ihres Wissens unterstützen, das ist ein rekursiver Prozess.
Dann könnte es auch zu einer gewaltigen Entmystifizierung von dem kommen, was Universität ist, und in dem Sinn ist das Etikett "DorfUni" schon gut gewählt:
>
Wenn wir uns gegenseitig berichtend Wissen und Entwicklung voran treiben, sind wir eine "Uni", eine "Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden", wobei wir immer wieder von einer Rolle in die andere gehen können.
>
Dabei kommt es uns auf "Universalität" an, auf die Einheit von forschendem Geist und handelnder Praxis.
>
Dabei gibt es automatisch eine Tendenz zur inneren Qualitätssicherung! Weil wir aufeinander angewiesen sind, müssen wir einander nicht nur Wissen zugänglich machen, sondern auch Kompetenzen bestätigen. Das ist dann nicht mehr dasselbe wie bei der Schule, wo die Ausbildung und die Zertifizierung in derselben Hand sind, das wird vielmehr ein komplexerer sozialer Prozess - den man wie bescheiden und unzulänglich auch immer heute beginnen sollte.
So eine Netzwerkbildung hat zum Beispiel die Wikipedia geschafft. Wobei sie sich den Anspruch durchaus hoch gehängt haben, Enzyklopädie, das ist schon eine tolle Geschichte. Eine Netzwerkbildung lebt von einer solchen Geschichte, von so einem Narrativ. "Uni der Dörfer" könnte ein solcher Narrativ werden.
Und der ländliche Raum hat Zukunft und muss wissensintensiv werden. Es setzt sich allgemein die Einsicht durch, dass mit dem Ende des fossilen Zeitalters die Abhängigkeit der Städte von den ländlichen Räumen wieder im Steigen ist. Erneuerbare sind Flächenressourcen, und da gilt die alte Gleichung "Größer = mehr = besser" nicht mehr. Sondern die logistischen Prinzipien verschieben sich in Richtung Optimalgröße, Ausgewogenheit, Dauerhaftigkeit. Das bedeutet eine Menge Forschungs- und Wissensbedarf, und es bedeutet dass die Befriedigung dieses Bedarfes in irgendeiner Form organisiert werden muss. In Kirchbach wurde dafür ein Anfang gemacht und dieses Muster wird sich weiterentwickeln.
Herzlichen Dank für diese optimistische Bilanz und für das Gespräch.
_______________-------___________________-----------------------________
< Haus KB5